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Spielraum nach Pikler

Im Spielraum bekommen die kleinen Besucher/innen die Möglichkeit, ihrer angeborenen Freude am Bewegen und Spielen in ihrem eigenen Tempo und ohne Eingriffe und Animationen durch Erwachsene nachzugehen. Diese dadurch besondere Atmosphäre in einem Raum mit speziell abgestimmten Bewegungselementen und offenen Spielsachen lässt die Kinder von Mal zu Mal Neues entdecken und selbst spüren, was gerade interessant ist und auch, wann es Zeit für eine Pause und ein Auftanken ist.

Die begleitenden Eltern können ihre Kinder in dieser Zeit in Ruhe beobachten und sich mitfreuen am Tun ihrer Kinder. Daneben hat ein Austausch über die Freuden und Erlebnisse aber auch Sorgen und Ängste im Alltag ebenso seinen Platz. Diese Gespräche finden in den Abendterminen exklusiv für die Erziehenden ihre Vertiefung und runden das Kurs-Konzept somit ab. Die Spielraum-Idee geht zurück auf die ungarische Kinderärztin Emmi Pikler*, deren Pädagogik-Ansätze sich immer größerer Bekanntheit und Beliebtheit erfreuen.

Emmi Pikler

Emmi Pikler wurde 1902 in Wien geboren, dort verbrachte sie auch ihre ersten Lebensjahre. 1908 siedelte die junge Familie nach Budapest, erst durch das angestrebte Medizinstudium kehrte sie nach Wien zurück und promovierte 1927. Drei Jahre später heiratete sie György Pikler, einen Mathematiker und Reform-Pädagogen, durch dessen Erfahrungen sich ihre eigenen Vorstellungen von den Bedürfnissen von Kindern und ihre entwicklungspsychologischen Überlegungen noch einmal verstärkten. Als 1931 ihre Tochter Anna geboren wurde, entschieden sie sich gemeinsam dafür, sie „frei“ aufwachsen zu lassen, in erster Linie ohne Manipulation in der Bewegungsentwicklung.

Die Familie lebte anfangs in Triest, dann in Budapest. Dort eröffnete sie 1935 eine Privatpraxis als Kinderärztin. Ihr großes Anliegen war es, nicht nur Krankheiten zu behandeln, sondern die Familien neben gesundheitlichen Aspekten auch in der Kindererziehung zu unterstützen. So entstand ein besonderes Naheverhältnis zwischen Ärztin und der ganzen Familie der kleinen Patienten/innen. Diese Familien waren es dann schließlich auch, die sie in der schweren Zeit der Judenverfolgung im 2. Weltkrieg unterstützten, in denen ihr Mann auch in politischer Gefangenschaft war.

Nach dem Krieg eröffnete sie ihre Privatpraxis nicht wieder sondern gründete das Säuglingsheim LÓCZY, das sie bis 1979 leitete. Sie legte bei der Betreuung der Säuglinge großen Wert auf eine beziehungsvolle Pflege, die die kleinen Schützlinge emotional auftanken ließ. Besonders wichtig war ihr dabei die Orientierung durch immer gleiche Abläufe und das Einhalten der Reihenfolge sowie die exklusive Zeit mit der Pflegerin in diesen Situationen. In der Bewegung und im Spiel wurde den Kindern ein freier Rahmen geboten, sowie sie es auch schon selbst bei ihrer eigenen Tochter und ihren beiden nach dem Krieg geborenen Söhnen angelegt hatte. Die freie Bewegungsentwicklungund ihre daraus entstehenden Möglichkeiten beschäftigte sie ihr ganzes Leben und war auch Thema ihrer Habilitation 1969.

Durch eine Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO wurde die Öffentlichkeit auf das Wirken von Emmi Pikler aufmerksam. Die Besucher/innen sahen ausgeglichene, lebensfrohe und aktive Kinder, die zu selbstbewussten und eigenständigen Menschen heranwachsen konnten, ohne die sonst so typischen Anstaltsschäden aufzuweisen. Durch zahlreiche Publikationen fand ihre Arbeit in den letzten Jahren ihres Lebens immer mehr Anerkennung im In- und Ausland. 1984 starb Emmi Pikler nach kurzer, schwerer Krankheit.

Das Säuglingsheim wurde daraufhin u.a. von ihrer Tochter Anna Tardos weitergeführt. Heute befindet sich im Gebäude eine Kinderkrippe, die nach den gewonnenen Prinzipien geführt wird, sowie das Zentrum der Forschungstätigkeiten und Schulungen.

Warum die Eile? Verlängert sich die Lebenszeit nicht immer mehr? Haben wir nicht mehr Zeit denn je, in Ruhe zu lernen und uns dabei von unseren eigenen Interessen und unserer Bereitschaft leiten zu lassen.

Magda Gerber